1. Einführung
Jeder, der schon einmal an einem IQ-Test teilgenommen hat, kennt vermutlich den Aufgabentyp "Zahlenreihen ergänzen". Hierbei muss auf Basis einer endlichen Anzahl vorgegebener Zahlen ein Bildungsgesetz erschlossen und Folgeglied gefunden werden.
Für die Zahlenreihe
sieht man schnell ein, dass 13 die nächste Zahl ist, da durch Addition von 1 jeweils auf das nächste Element der Zahlenreihe geschlossen werden kann. Es könnte sich aber genauso gut um die kreisförmig angeordneten Zahlen auf dem Zifferblatt einer Uhr handeln. In diesem Fall würde auf die 12 die 1 folgen. Du siehst, dass nicht immer (eigentlich nie) eindeutig ist, wie eine Zahlenreihe logisch fortgesetzt werden kann. Nehmen wir als zweites Beispiel diese Zahlenreihe:
Folgt als nächstes die 82, weil zwischen 2, 10, 18 jeweils 8 und zwischen 18, 36, 54 jeweils 18 liegen und deshalb als nächstes 18+10=28 auf die 54 addiert werden muss? Oder ist es die 86, weil es sich hierbei um die Ordnungszahlen der Edelgase aus dem Periodensystem der Elemente in aufsteigender Reihenfolge handelt? Beide Begründungen klingen logisch, doch in einem IQ-Test fordert man "die naheliegendste Lösung". Doch wie ist die "naheliegendste Lösung" definiert? Ist es die Lösung, die am häufigsten gewählt wird? Wieso sollte man dann punktetechnisch dafür "bestraft" werden, dass man eine alternative (von der Norm abweichende und trotzdem logische) Lösung gewählt hat?
Diesen Aspekt sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man über die Aussagekraft von IQ-Tests debattiert.
2. Interpolationspolynome
Was ist, wenn ich dir jetzt sage, dass du jede beliebige Zahl als Folgeelement einer beliebigen Zahlenreihe nennen kannst? Mithilfe sogenannter Interpolationspolynome ist nämlich genau das möglich.
3. Interpolationspolynomiale Folgenextrapolation
Doch wie kann man dieses Wissen für die Anwendung auf Zahlenreihen in IQ-Tests nutzen?
- A: 13
- B: 42
- C: 9
- D: 28
Mit dieser Argumentationslogik sind solche Aufgaben in IQ-Tests quasi hinfällig. Außer es wird explizit darauf hingewiesen, das Lösungen, die auf Interpolationspolynomen basieren, unzulässig sind.
Aber Vorsicht: Wenn zu viele Zahlen vorgegeben sind, lässt sich diese Argumentation aufgrund von Berechnungsungenauigkeiten nicht mehr sinnvoll verwenden.
4. "Schummeln" bei Beweisen zur Konvergenz und Divergenz
Dieses Modell ist jedoch nicht nur bei IQ-Tests interessant. Auch in Analysis-Klausuren an der Uni kannst du dir diesen Gedanken zunutze machen. Stelle dir vor, du hast die Reihe
gegeben und sollst nun entscheiden, ob diese divergent oder konvergent ist. Zunächst musst du das Bildungsgesetz für diese Reihe notieren. In diesem Fall wollen die Professoren von dir sehr wahrscheinlich diese Reihe wissen:
Hier müsstest du dann z. B. das Leibniz-Kriterium anwenden, um eine Aussage über die Konvergenz bzw. Divergenz dieser Reihe treffen zu können. Aber was spricht dagegen, sich auch hierfür ein Interpolationspolynom zu definieren und dieses als Bildungsgesetz zu verwenden? Also:
Dein Professor sollte sich also zweimal überlegen, ob er Aufgaben zur Konvergenz bzw. Divergenz von Reihen ohne Vorgabe des Bildungsgesetzes stellen sollte.